OLG Stuttgart erklärt weitere Widerrufsbelehrung für unwirksam

Das OLG Stutt­gart hat in sei­nem Urteil vom 29.09.2015 Az. 6 U 21/05 eine weit ver­brei­te­te Ver­si­on einer Wider­rufs­be­leh­rung von Dar­le­hens­ver­trä­gen von Ban­ken für unwirk­sam erklärt.

Dabei ging es u.a. um die Fra­ge, ob die­se For­mu­lie­rung dem Deut­lich­keits­ge­bot ent­spricht oder nicht:

Die Frist beginnt einen Tag, nach­dem Ihnen

    • ein Exem­plar die­ser Wider­rufs­be­leh­rung und
    • eine Ver­trags­ur­kun­de, Ihr schrift­li­cher Dar­le­hens­an­trag oder eine Abschrift der Ver­trags­ur­kun­de oder Ihres Dar­le­hens­an­tra­ges zur Ver­fü­gung gestellt, sowie
    • die für den Ver­trag gel­ten­den All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen und
    • die Infor­ma­tio­nen, zu denen wir nach den Vor­schrif­ten über Fern­ab­satz­ver­trä­ge (§ 312c Abs. 2 BGB in Ver­bin­dung mit § 1 Abs. 1, 2 und 4 BGB-Info­VO) ver­pflich­tet sind,

in Text­form mit­ge­teilt wor­den, nicht jedoch vor dem Tag des Abschlus­ses des Darlehensvertrags. ”

Gegen­stand des Ver­fah­rens waren gleich meh­re­re Dar­le­hens­ver­trä­ge und zwei ver­schie­de­ne Widerrufsbelehrungen.

Hin­sicht­lich der ers­ten Wider­rufs­be­leh­rung, die den Pas­sus „Die Frist beginnt frü­hes­tens …“ ent­hielt, kam es nur auf die Fra­ge an, ob vom Mus­ter abge­wi­chen wur­de. Die­se For­mu­lie­rung ist bekannt­lich bereits höchst­rich­ter­lich als falsch aus­ge­ur­teilt wor­den. Hier kann die Bank nur der soge­nann­te Ver­trau­ens­schutz helfen. 

Beacht­lich ist die Begrün­dung für die Abwei­chun­gen vom Mus­ter­text. Das OLG sah die Abwei­chun­gen u.a. des­halb gege­ben weil Ände­run­gen unter dem Absatz „Finan­zier­te Geschäf­te“ vor­la­gen, trotz­dem es kein finan­zier­tes Geschäft war und der Absatz auch hät­te weg­fal­len können.

In der zwei­ten Wider­rufs­be­leh­rung ging es hin­ge­gen um die Deut­lich­keit der Beleh­rung an sich. Die Wider­rufs­be­leh­rung erweckt einen Irr­tum beim Leser über den Frist­be­ginn. Die­se Aus­füh­run­gen des OLGs dürf­ten auf vie­le Wider­rufs­be­leh­run­gen über­trag­bar sein.

Die Kla­ge hat­te bereits beim Land­ge­richt Stutt­gart Erfolg gehabt und die von der Bank ein­ge­leg­te Beru­fung wur­de nun zurückgewiesen.

Dabei trifft das OLG Stutt­gart in sei­ner Ent­schei­dung vom 29.09.2015 Az. 6 U 21/05 ein paar inter­es­san­te Feststellungen.

Kei­ne Ver­trau­ens­schutz auf das Mus­ter, auch wenn eigent­lich im kon­kre­ten Fall nicht ein­schlä­gi­ge Pas­sa­gen des Tex­tes geän­dert wer­den („Finan­zier­te Geschäfte“).

Das OLG lehnt die Schutz­wir­kung des Mus­ters der Anla­ge 2 zum § 14 BGB Info­VO u.a. mit der Begrün­dung ab, dass die hier vor­ge­nom­me­nen Ände­run­gen nicht im glei­chen Maße deut­lich sind, wie die Musterbelehrung.

Die Wider­rufs­be­leh­rung hat­te dabei den Pas­sus unter der Über­schrift „Finan­zier­te Geschäf­te“ nicht voll­stän­dig dem Mus­ter ent­nom­men, son­dern leicht verändert.

Ände­run­gen an die­ser Stel­le sind bei vie­len Wider­rufs­be­leh­run­gen anzu­tref­fen. Oft wird ein zusätz­li­cher Satz aus der Mus­ter­wi­der­rufs­be­leh­rung mit abge­druckt oder wei­te­re sprach­li­che Ände­run­gen vor­ge­nom­men. Vie­le Gerich­te lie­ßen dies bis­her unbe­ach­tet, wenn kein ver­bun­de­nes Geschäft vor­lag. Nicht so das OLG Stuttgart.

Es führt aus:

„Die von der Beklag­ten gewähl­te Umfor­mu­lie­rung bedeu­tet daher einen Ver­lust an Deut­lich­keit und ist des­halb als inhalt­li­che Bear­bei­tung des Mus­ters einzuordnen.

Irrele­vant ist in die­sem Zusam­men­hang, dass die Beklag­te auf die Beleh­rung zu den finan­zier­ten Geschäf­ten hät­te ver­zich­ten kön­nen, da ein sol­ches unstrei­tig nicht vorlag.“

Beson­ders der letz­te Pas­sus macht deut­lich, dass es bei der Beur­tei­lung einer Wider­rufs­be­leh­rung grund­sätz­lich auf die gesam­te Beleh­rung ankommt. Auch wir ver­tre­ten die Auf­fas­sung, dass es hin­sicht­lich des Ver­trau­ens­schut­zes kei­ne Rol­le spielt, ob der jewei­li­ge Pas­sus kon­kret vor­liegt oder eine Rol­le spielt.

Wenn ledig­lich eine rei­ne Fik­ti­on die Wider­rufs­be­leh­rung als „aus­rei­chend“ defi­niert, sie es aber tat­säch­lich nicht ist, dann muss auch jede Ände­rung der Wider­rufs­be­leh­rung, egal ob sie kon­kret ein­schlä­gig ist oder nicht, zum Ver­lust des Ver­trau­ens­schut­zes führen. 

Oft und ger­ne wird dabei näm­lich gera­de bei Wider­rufs­be­leh­run­gen mit dem Pas­sus „Die Frist beginnt frü­hes­tens…“ über­se­hen, dass die­ser Wort­laut bereits aus­rei­chend ist, die Dar­le­hens­neh­mer unzu­rei­chend über ihr Wider­rufs­recht zu belehren.

Der Dar­le­hens­neh­mer kann hier nur erken­nen, dass sein Wider­rufs­recht jetzt oder spä­ter beginnt, aber nicht wann. Bei die­sen Beleh­run­gen kann die Bank i.d.R. nur die soge­nann­te Gesetz­lich­keits­fik­ti­on ret­ten. Für deren vor­lie­gen, muss aber das gesam­te Mus­ter und die gesam­te Wider­rufs­be­leh­rung exakt über­nom­men wor­den sein. Die­se Auf­fas­sung sehen wir jetzt durch das Urteil des OLG Stutt­gart vom 29.09.2015 bestätigt.

Eben­so inter­es­sant sind dabei die Aus­füh­run­gen zu der zwei­ten Wider­rufs­be­leh­rung durch das OLG Stuttgart.

Hier befand das OLG, dass die­se Wider­rufs­be­leh­rung gegen das Deut­lich­keits­ge­bot verstößt.

Die beklag­te Bank hat­te hier for­mu­liert, dass das Wider­rufs­recht u.a. „(…)nicht jedoch vor dem Tag des Abschlus­ses des Dar­le­hens­ver­tra­ges“ zu lau­fen beginnt.

Das dama­li­ge Mus­ter fasst die­sen Pas­sus jedoch anders. Dort hieß es schlicht „jedoch nicht vor Ver­trags­schluss“.

Die­se Ände­rung ver­stößt gegen das Deut­lich­keits­ge­bot und lässt die Wider­rufs­be­leh­rung unwirk­sam werden.

Gemes­sen an den Vor­ga­ben des BGHs zur Deut­lich­keit einer Wider­rufs­be­leh­rung, fehlt es der genann­ten For­mu­lie­rung an der not­wen­di­gen Ein­deu­tig­keit. Die Wider­rufs­be­leh­rung nennt zwar ver­schie­de­ne Hin­wei­se zur Frist­be­rech­nung nach § 187 BGB bezieht die­se jedoch nicht ein­deu­tig genug auch auf den Ver­trags­schluss als not­wen­di­ges Frist aus­lö­sen­des Ereignis.

Wäh­rend die ers­ten Hin­wei­se unter dem Vor­be­halt des Ein­lei­tungs­sat­zes ste­hen, dass die Frist einen Tag nach dem jewei­li­gen Ereig­nis begin­nen kann, fehlt die­ser Vor­be­halt für den Vertragsschluss.

Viel­mehr ent­steht ein Wider­spruch, nach­dem der Leser zu der Ansicht gelan­gen kann, dass der Tag des Ver­trags­schlus­ses maß­geb­lich ist und die Frist genau an die­sem Tag zu lau­fen beginnt. Dies wider­spricht aber der Ein­gangs­for­mu­lie­rung, dass die Frist erst nach den wei­te­ren Hin­wei­sen beginnt. 

Der Leser weiß dem­nach nicht, ob die Frist jetzt am Tag des Ver­trags­schlus­ses beginnt oder erst am Tag nach der Über­ga­be der genann­ten Infor­ma­tio­nen. Wür­den die Unter­la­gen erst nach Ver­trags­schluss über­ge­ben, wür­de die Frist erst einen Tag spä­ter zu lau­fen begin­nen. Wer­den die Unter­la­gen hin­ge­gen vor dem Ver­trags­schluss über­ge­ben, wür­de die Frist direkt an die­sem Tag begin­nen und wenn bei­des auf einen Tag fällt, kann es der Leser gar nicht bestimmen.

Letzt­lich ist es eine irre­füh­ren­de und fal­sche For­mu­lie­rung, weil die Frist ein­heit­lich immer ab dem nächs­ten Tag gezählt wird und der Tag auf den das Ereig­nis fällt, nicht mit­ge­zählt wird. Dies bedeu­te­te, dass nach § 187 BGB die Frist auch hin­sicht­lich des Ver­trags­schlus­ses erst mit dem nächs­ten Tag gezählt wird und nicht schon mit dem Tag des Vertragsschlusses.

Durch die redak­tio­nel­le Ände­rung schaff­te die Bank den Ein­druck, dass je nach­dem wel­ches der Frist aus­lö­sen­den Ereig­nis­ses das Letz­te ist, die Frist unter­schied­lich zu berech­nen sei. Dies ist schlicht falsch.

Es gibt sehr vie­le Wider­rufs­be­leh­run­gen die eine ähn­li­che For­mu­lie­rung gewählt haben und die im Lich­te die­ser Ent­schei­dung des OLG Stutt­garts nun mehr eben­falls als falsch gel­ten dürf­ten. Das OLG befasst sich inso­weit sehr detail­liert und auch für ande­re Gerich­te über­zeu­gend mit der Sach- und Rechts­la­ge hin­sicht­lich die­ser For­mu­lie­rung. Die­se Ent­schei­dung dürf­te für die betrof­fe­nen Ban­ken daher Signal­wir­kung haben und zu einer höhe­ren Eini­gungs­be­reit­schaft führen.

Kein Aus­schluss des Wider­rufs­rechts durch einen Aufhebungsvertrag.

Das Urteil ist zudem auch des­halb bedeut­sam, weil es einen Auf­he­bungs­ver­trag gab. Zwar gibt es eine Rei­he von Gerich­ten, die dies bis­her eben­falls als unschäd­lich ange­se­hen haben, aber auch sehr vie­le, die dar­in einen Ver­zicht auf das Wider­rufs­recht sahen. Letz­te­rer Ansicht erteil­te das OLG Stutt­gart eine kla­re Absage.

Die Been­di­gung des Schuld­ver­hält­nis­ses und die bei­der­sei­ti­ge voll­stän­di­ge Leis­tungs­er­brin­gung ste­hen dem spä­te­ren Wider­ruf nicht ent­ge­gen. Dies bekräf­tigt die Dar­le­hens­neh­mer, die auch bereits auf­ge­lös­te Dar­le­hens­ver­trä­ge noch wider­ru­fen haben oder dies vorhaben.

Eine Ver­wir­kung bzw. ein Ver­stoß gegen Treu und Glau­ben hat das OLG zutref­fend nicht ange­nom­men und liegt auch hier voll auf der Richt­li­nie des Bundesgerichtshofs.

Die Annah­me der Ver­wir­kung bleibt eine Min­der­mei­nung eini­ger Kam­mern bzw. Sena­te von Land- und Oberlandesgerichten.

Es kommt zudem gera­de nicht auf die Moti­va­ti­on des Dar­le­hens­neh­mers an.

Eine sol­che Abwä­gung zwi­schen Moti­va­ti­on des Dar­le­hens­neh­mers und der Pflicht der Bank zur ord­nungs­ge­mä­ßen Beleh­rung sieht das Gesetz schlicht nicht vor. Ähn­lich wie auch das OLG Frank­furt in sei­nem Urteil vom 26.08.2015 Az. 17 U 202/14 und vom 02.09.2015 Az. 23 U 24/15 lehnt das OLG ein illoya­les Ver­hal­ten der Dar­le­hens­neh­mer oder einen Ver­trau­en­s­tat­be­stand der Bank zu recht voll­stän­dig ab.

Aus­drück­lich Revi­si­on zugelassen.

Beach­tens­wert ist, dass das OLG Stutt­gart aus­drück­lich die Revi­si­on zuge­las­sen hat. Dies geschieht äußerst sel­ten. Das OLG begrün­det dies mit der unter­schied­li­chen Ansicht zur Ver­wir­kung der ein­zel­nen OLGs. Aller­dings wird die Zahl der OLGs die Ver­wir­kung anneh­men, eher klei­ner als grö­ßer. Es besteht auf­grund der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung kein Zwei­fel dar­an, dass der BGH kei­ne Ver­wir­kung des Wider­rufs­rechts von Dar­le­hens­neh­mern bei noch lau­fen­den oder kurz­fris­tig been­de­ten Dar­le­hens­ver­trä­gen anneh­men wird.

Das jetzt ergan­ge­ne Urteil stärkt betrof­fe­ne Dar­le­hens­neh­mer mit ähn­li­chen Wider­rufs­be­leh­run­gen, die bereits Wider­ru­fen haben und im Kla­ge­ver­fah­ren ste­cken oder noch vor haben zu Widerrufen.

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